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Fik­tion kann mit der Zeit umsprin­gen, wie sie will. Zeitver­läufe wer­den beim Erzählen nicht nur gedehnt und ger­afft oder durch Rück­blenden und Vor­griffe unter­brochen. In F. Scott Fitzger­alds Nov­el­le Der selt­same Fall des Ben­jamin But­ton (dt. v. Christa Schuenke; Orig. The Curi­ous Case of Ben­jamin But­ton) kommt ein Kind in Gestalt eines siebzigjähri­gen Greis­es zur Welt und entwick­elt sich über die Jahre kör­per­lich und geistig zurück bis zum Baby.

«Eingewick­elt in eine bauschige weisse Decke und halb­wegs hineingestopft in eines der Bettchen, hock­te dort ein alter Mann von augen­schein­lich etwa siebzig Jahren. Er hat­te schüt­teres, nahezu weiss­es Haar, und von seinem Kinn hing ein langer, rauch­grauer Bart, der in dem durchs Fen­ster hereink­om­menden Luftzug irrwitzig hin und her wehte. Mit einem rat­losen, fra­gen­den Blick in den trüben, ver­wasch­enen Augen schaute er hin­auf zu Mr. Button.»

Während sich die Zeit kon­tinuier­lich vor­wärts bewegt, läuft sie für Ben­jamin But­ton rück­wärts. Bis er sich schliesslich  an nichts mehr erin­nern kann.

«Dann gab es nur noch Dunkel­heit, und sein weiss­es Bettchen, die ver­schwomme­nen Gesichter, die sich über ihn beugten, der warme, süsse Duft von Milch – all das verblasste und schwand endlich ganz und gar aus sein­er Erinnerung.»

Einen erzähltech­nis­chen und per­spek­tivis­chen Schritt weit­er geht Mar­tin Amis in seinem Roman Pfeil der Zeit (dt. v. Alfons Winkel­mann; Orig. Time’s Arrow). Hier läuft die Zeit mit der Geschichte rückwärts.

«Todd Friend­ly liegt in einem amerikanis­chen Kranken­haus im Ster­ben, doch mit dem Tod begin­nt sein Leben rück­wärts zu laufen, bis er schließlich in den zwanziger Jahren des zwanzig­sten Jahrhun­derts wieder im Mut­ter­leib ver­schwindet. Sta­tio­nen sind eine erfol­gre­iche Tätigkeit als Medi­zin­er in Ameri­ka, die Flucht nach dem Zweit­en Weltkrieg aus Europa sowie – Schlüs­sel zu seinem Leben – die Zeit als Arzt in einem KZ

Für seine erzäh­lerische Kühn­heit und die vir­tu­ose Gestal­tung der Zei­tumkehrung gebührt Mar­tin Amis der vierte «HC Award for Spe­cial Achieve­ment in Lit­er­ary Fic­tion» (benan­nt nach dem schweiz­erisch-kanadis­chen Lit­er­atur­wis­senschaftler Her­man Couzens). Auf ein­drück­liche Weise und mit nar­ra­tiv­er Kon­se­quenz erzählt Amis im Time’s Arrow «das Leben eines Nazikriegsver­brech­ers vom Augen­blick seines Todes rück­wärts bis zu sein­er Geburt […], mit anfangs komisch-grotesker Wirkung und dann zunehmend beun­ruhigt und beun­ruhi­gend, als die Geschichte sich den Schreck­en des Holo­causts nähert» (wie David Lodge in sein­er Kun­st des Erzäh­lens fes­thält; übers. v. Daniel Ammann).

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