«Wer hat je innege­hal­ten, um die Form oder den Ton­fall ein­er Rezen­sion oder eines kri­tis­chen Essays zu bewun­dern?» Die Frage des New York­er Filmkri­tik­ers Antho­ny Scott ist berechtigt. Besprechun­gen von Fil­men, Büch­ern, The­at­er­auf­führun­gen, Konz­erten oder Ausstel­lun­gen wer­den als Ori­en­tierung­shil­fe geschätzt, bee­in­flussen als Ver­riss oder Lobeshymne vielle­icht den Erfolg eines Werks. Aber als eigene Kun­st­form, wie das schon der berühmte Kri­tik­er und Jour­nal­ist Alfred Kerr (1867–1948) gefordert hat, wird die Kri­tik kaum gewürdigt.

Dazu passt auch Ernest Hem­ing­ways Bemerkung in A Move­able Feast, als er einem Fre­und den Rat gibt: «Pass auf, wenn du nicht schreiben kannst – wie wär’s, wenn du’s mal mit Rezen­sio­nen ver­suchen würdest? […] Dann hast du immer was zu schreiben. Du brauchst dir nie mehr Sor­gen zu machen, dass nichts mehr kommt, dass du stumm und still gewor­den bist. Und du hast Leser und Anerkennung.»

Ernest Hem­ing­way in Paris, ein Fest fürs Leben. Deutsch von Wern­er Schmitz. (Rowohlt 2011)
A. O. Scott, Kri­tik üben: Die Kun­st des feinen Urteils. Deutsch v. Mar­tin Pfeif­fer. München: Carl Hanser, 2017.

Noch immer haftet der Kri­tik das Image der Unkreativ­ität an. Ohne all die kreativ­en Beiträge, heisst es gerne, hät­ten die Kri­tik­erin­nen und Kri­tik­er gar nichts, worüber sie schreiben kön­nten. Ausser­dem, so Scott, bedeutet kri­tisieren für viele, «dass man etwas auszuset­zen hat, dass man das Neg­a­tive betont, den Spass verdirbt und sich weigert, auf empfind­liche Gefüh­le Rück­sicht zu nehmen.» Dabei sollte man sich für die Kri­tik dur­chaus stark machen, wie das in diesem anre­gen­den und auf­schlussre­ichen Buch geschieht. Im Zeital­ter der Mei­n­ungs­mache und Gefällt-mir-Klicks geht gern vergessen, dass Kri­tik nicht nur Stel­lung bezieht, son­dern Massstäbe anlegt, ohne die ein begrün­detes Urteil gar nicht möglich ist. Kri­tik schärft die Wahrnehmung und ebnet den Weg für einen Diskurs.

In seinen Aus­führun­gen und iro­nis­chen Selb­st­ge­sprächen schüt­tet Antho­ny Scott nicht nur sein Herz aus, son­dern zeigt auf, welch wichtige Rolle die Kri­tik seit Jahrhun­derten spielt. Viele bedeu­tende Kri­tik­er, wie die Kul­turgeschichte belegt, waren selb­st Kün­stler und umgekehrt. Charles Baude­laire schrieb über mod­erne Malerei, der Lyrik­er Philip Larkin über Jazz. Auch Regis­seure wie Godard, Chabrol oder Truf­faut haben als Filmkri­tik­er ange­fan­gen. Das mögen Aus­nah­meer­schei­n­un­gen sein, wie Scott eingeste­ht, aber in erster Lin­ie sei die Kri­tik eine «Diszi­plin des Schreibens» und der Kri­tik­er «eine beson­dere Spezies der Gat­tung Schrift­steller». Etwas herun­ter­ma­chen, bemän­geln und anfein­den ist keine Kun­st, gute Kri­tik jedoch erfordert Argu­mente, klare Begriffe und vor allem Unter­schei­dungsmerk­male, sprich: Kri­te­rien. Über Geschmack lässt sich nicht stre­it­en – über Kri­tik schon.

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